Stipendien der Stiftung Niedersachsen für Medienkunst 2024 am Edith-Russ-Haus

Stipendien der Stiftung Niedersachsen für Medienkunst am Edith-Russ-Haus

Die Bewerbung für die Stipendien 2025 wird von Dezember 2024 bis Ende Februar 2025 möglich sein und hier auf dieser Seite ausgeschrieben werden. Wenn Sie über den Start der Ausschreibung informiert werden möchten, können Sie hier den eMail-Newsletter des Edith-Russ-Hauses abonnieren.


Das Haus für Medienkunst freut sich, die drei Projekte bekanntzugeben, die aus den Einreichungen für die Stipendien 2024 ausgewählt wurden: Felipe Castelblanco, Jakrawal Nilamthrong und Kaensan Rattanasomrerk sowie Yehwan Song.

Ermöglicht durch die Stiftung Niedersachsen hat das Haus für Medienkunst für das Jahr 2024 drei sechsmonatige und mit 12.500 Euro dotierte Arbeitsstipendien vergeben. Insgesamt hatten sich 430 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt für die Stipendien beworben. Damit gehört 2024 zu den Jahren mit den meisten Einreichungen in der Geschichte des Stipendiums. Die Stiftung Niedersachsen fördert das Stipendienprogramm des Hauses für Medienkunst kontinuierlich seit 2001. Das Programm ist zu einem Aushängeschild des Hauses für Medienkunst geworden. Viele der in Oldenburg entstandenen Arbeiten wurden nach ihrer Realisierung in internationalen Ausstellungen präsentiert und mit Preisen ausgezeichnet. Mit ihrer Förderung will die Stiftung Niedersachsen eines der führenden Häuser für Medienkunst in Deutschland nachhaltig stärken, seine an Qualität orientierte Profilierung unterstützen, um so die Schaffung von Kunst zu ermöglichen und internationale Vernetzungen und lokale Anknüpfungspunkte zu schaffen.

Die Jury, die nach zwei Tagen intensiver Debatten ihre Entscheidungen traf, bestand aus Joasia Krysa, Direktorin des Institute of Art and Technology und Professorin an der Liverpool John Moores University, Uli Ziemons, Co-Kurator des Forum Expanded Programms der Internationalen Filmfestspiele Berlin, sowie Edit Molnár und Marcel Schwierin, die das Haus für Medienkunst gemeinsam leiten.

Im Rahmen der Ausschreibung gingen 430 Bewerbungen mit Projektvorschlägen ein. Viele Projekte behandelten dringliche Fragen, wie etwa die Verstärkung politisch und historisch marginalisierter Stimmen, globale Migrationsbewegungen (von Menschen und Pflanzen) und die Folgen des Klimawandels, aber auch die Möglichkeiten einer anderen Beziehung zwischen Menschen, Tieren und Pflanzen. Weitere Projekte beschäftigten sich mit der Hinterfragung von grundlegenden Technologien, die in unserer Alltagswirklichkeit eine bedeutende Rolle spielen, oder damit, eine weitgehend entmaterialisierte digitale Existenz durch körperliche Erfahrungen wieder zu erweitern.

Die auf Recherchen basierende Arbeit des kolumbianischen Künstlers Felipe Castelblanco untersucht institutionelle Formen, schafft Plattformen für Dialoge und erforscht neue Formen des öffentlichen Raums, die ansonsten eher unwahrscheinliche Begegnungen zwischen verschiedenen Publikumsgruppen ermöglichen. Der Künstler arbeitet mit indigenen Gemeinschaften, Aktivist*innen und Gruppen, die ein gemeinsames Anliegen verfolgen, und er unterstützt kollektives Handeln und Gestalten, um biokulturelle Friedensprozesse anzustoßen und Wege zur historischen und territorialen Gerechtigkeit zu erschließen.  Castelblancos Vorschlag geht von der provozierenden Vorstellung aus, dass sich Pflanzen und Menschen verbünden könnten, um durch einen selektiven Gedächtnisverlust und die Raumfahrt den Verlauf der Geschichte zu beeinflussen. Das Projekt verbindet eine essayistische Schilderung der Verwendungsformen einer toxischen Blume in traditionellen indigenen Praktiken mit der Geschichte eines Mitglieds der aktivistischen Gruppe La Guardia Indígena, der aus seiner Heimat in die Schweizer Alpen gebracht wird.  „Ich möchte einen künstlerischen Film machen“, schreibt Castelblanco, „der auf den ethnomedizinischen Praktiken der Kamëntsà- und Inga-Gemeinschaften im Amazonasgebiet der kolumbianischen Anden beruht, die noch eine enge Beziehung zur der seltenen, hochwirksamen Pflanze haben, die dort unter dem Namen Borrachero Andaki bekannt ist.“ Die Jury fand besonders faszinierend, wie sich die Geschichte durch  viele kulturelle und geografische Kontexte bewegt und dabei die Verwobenheit von komplexen Ökosystemen aus pflanzlichen Lebewesen und menschlichen Erinnerungen widerspiegelt.

Die thailändischen Künstler Jakrawal Nilthamrong und Kaensan Rattanasomrerk arbeiten mit Bewegtbildern und Installationen und interessieren sich für das Experimentieren mit filmischen Bildsprachen. Ihre Arbeiten beschäftigen sich oft mit kollektiven Traumata und mit der Geschichte Thailands in einem größeren geopolitischen Kontext. Ihre Einreichung, The Spore, ist ein recherchebasiertes, ortsspezifisches Kunstprojekt, in dem Pilze bei der Suche nach einer möglichen Zukunft eine wirkmächtige Orientierungshilfe bieten.  Während des Arbeitsaufenthalts in Oldenburg plant das Künstlerduo, eine neue Videoarbeit zu produzieren, die den Mitarbeiter eines thailändischen Restaurants bei der Pilzsuche im Wald begleitet. Dabei erkunden sie eingehend das historische Trauma, das die erste Generation von Kriegsgeflüchteten verfolgt. Außerdem umfasst das Projekt eine Reihe von Pilzskulpturen, die an die 400-jährigen Handelsbeziehungen zwischen Europa und Indochina erinnern, durch die sich verschiedene Sporen verbreiten konnten.  Die Künstler betonen: „Das Projekt beruht auf wissenschaftlichen Untersuchungen, die uns ein neues Paradigma aufzeigen, um über Wissen, Weisheit und gesellschaftliche Strukturen nachzudenken. Pilze können nur auf zerfallender Materie wachsen. Daher sind sie eine Metapher dafür, wie Menschen den Raum der Verletzten, der zur eigentlichen Grundlage unserer Existenz wird, wieder bewohnen können.“  Angesichts der experimentellen Praktiken der Bildproduktion war die Jury besonders fasziniert davon, wie das organische Material der Skulpturen und die geopolitische historische Untersuchung auf poetische Weise miteinander verknüpft werden.

Yehwan Song ist eine koreanische Internetkünstlerin, die sich für die Herstellung vielfältiger und unabhängiger digitaler Räume interessiert, die unkonventionell und nicht nutzerzentriert sind. „Meine Projekte“, schreibt sie, „untersuchen vor allem das Unbehagen und die Unsicherheit, die marginalisierte Nutzer erleben – etwas, das oft hinter der Fassade technologischer Utopien verborgen bleibt, die sich durch übertriebenen Komfort, Geschwindigkeit und einfache Bedienbarkeit auszeichnen.“  Ihr Vorschlag mit dem Titel The Square umfasst eine Website, eine Webperformance-Aufzeichnung und eine Installation. Die Jury begrüßte den kritischen Ansatz des Projekts, der auf einer metaphorischen Untersuchung zur digitaler Kolonisierung und ihrer expansionistischen Ideologie beruht; es bezieht seine Inspiration aus der aktuellen Erosion privater Räume durch das Internet und stärkt das Streben nach digitaler Gerechtigkeit.   Songs künstlerische Praxis destabilisiert die benutzerfreundliche, strahlende Oberfläche des Internets, um einen Abstand zu den Beschränkungen der von Konzernen entwickelten Online-Plattformen herzustellen und um andere Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man sich versammeln und vernetzen kann. „Dank des Set-ups“, schreibt sie, „kann das Publikum in eine harmonisierte kollektive Stimme eintauchen, die das Erlebnis von Teilhabe fördert. Das Projekt ruft zum Handeln auf und mahnt das Publikum, die Zukunft des Internets aktiv zu gestalten.”

Bisher vergebene Stipendien

2023 | Karolina Breguła | Tenzin Phuntsog | Eoghan Ryan
Jury: Zdenka Badovinac, Edit Molnár, Gabriela Salgado, Marcel Schwierin

2022 | Lucy Beech | Silvia Martes | James Newitt
Jury: Sofía Hernández Chong Cuy, Edit Molnár, Lívia Páldi, Marcel Schwierin

2021 | Rana Hamadeh | Jim Jasper Lumbera | Hira Nabi
Jury: Cosmin Costinas, Edit Molnár, Emily Pethick, Marcel Schwierin

2020 | Ayò Akínwándé | Mochu | Clara Jo
Jury: Natasha Ginwala, Robert Leckie, Edit Molnár, Marcel Schwierin

2019 | Kim Schön | Mario Pfeifer | Viktor Brim
Jury: Nav Haq, Edit Molnár, Marcel Schwierin, Monika Szewczyk

2018 | Petra Bauer | Zach Blas | Daniel Jacoby
Jury: Charles Esche, Edit Molnár, Marcel Schwierin, Joanna Sokołowska

2017 | Noor Afshan Mirza/Brad Butler | Stefan Panhans | Shirin Sabahi
Jury: Bassam El Baroni, Edit Molnár, Stefanie Schulte Strathaus, Marcel Schwierin

2016 | Doireann O'Malley | Zorka Wollny | Amir Yatziv
Jury: Sebastian Cichocki, Galit Eilat, Edit Molnár, Marcel Schwierin

2015 | Mahmoud Khaled | Szabolcs KissPál | Anette Rose
Jury: Inke Arns, Nataša Ilic, Edit Molnár, Marcel Schwierin

2014 | Derek Holzer | Ivar Veermäe | Emma Wolukau-Wanambwa
Jury: Renate Buschmann, Claudia Giannetti, Hermann Nöring, Andrea Sick

2013 | Marcello Mercado | Patrícia Reis | Hannes Waldschütz
Jury: Prof. Dr. Norval Baitello Junior, Roberta Bosco, Dr. Claudia Giannetti, Prof. Hartmut Jahn

2012 | Kerstin Ergenzinger | Antoine Schmitt | Christoph Wachter/Mathias Jud
Jury: Agnieszka Kubicka- Dzieduszycka, Ingmar Lähnemann, Domenico Quaranta, Dr. Axel Roch, Rebecca Shatwell

2011 | Darsha Hewitt | Ute Hörner/Mathias Antlfinger | Yunchul Kim
Jury: Ursula Damm, Kristian Lukic, Lars Midboe, Andrea Sick

2010 | HeHe (Helen Evans / Heiko Hansen) | Ralf Baecker | Anahita Razmi
Jury: Andy Cameron, Susan Collins, Steve Dietz, Sabine Himmelsbach, KH Jeron, Ingmar Lähnemann

2009 | Jana Linke | REINIGUNGSGESELLSCHAFT | The SINE WAVE ORCHESTRA
Jury: Graham Harwood, Sabine Himmelsbach, Stephen Kovats, Amanda McDonald Crowley, Yukiko Shikata

2008 | Petko Dourmana | Kristin Lucas | Cornelia Sollfrank
Jury: Sabine Himmelsbach, Dr. Susanne Jaschko, Warren Sack, Annette Schindler, Dr. Stephan Urbaschek

2007 | Jens Brand | Ellen Fellmann | Eddo Stern
Jury: Sabine Himmelsbach, Tom Holley, Christina Kubisch, Björn Melhus

2006 | Annina Rüst | Corinna Schnitt | ubermorgen.com
Jury: Susanne Binas-Preisendörfer, Michael Connor, Sabine Himmelsbach, Karin Ohlenschläger

2005 | Amie Siegel
Jury: Sabine Himmelsbach, Jan Schuijren, Paula von Sydow, Susanne Weirich

2004 | Minerva Cuevas | Calin Dan | Martine Neddam
Jury: Rosanne Altstatt, Sarah Cook, Iris Dressler, Babara Engelbach, Ursula Frohne

2003 | Dave Allen | Bernadette Corporation | Naomi Ben-Shahar
Jury: Rosanne Altstatt, Katja Davar, Gregor Jansen, Maria Anna Potocka, Silke Wenk

2002 | Johan Grimonprez | Dagmar Keller/Martin Wittwer | Florian Zeyfang
Jury: Rosanne Altstatt, Christoph Blase, Josephine Bosma, Linda Anne Engelhardt, Christoph Keller, Sarah Cook, Jens Thiele, Susanne Weirich

2001 | Susanne Weirich