Ausstellung

Systemstörung

Franz Alken ; 
Minerva Cuevas ; 
Calin Dan ; 
Andrea Fraser ; 
Hans Haacke ; 
Mark Lombardi ; 
Cildo Meireles ; 
David Still ; 
Josh On ; 
Santiago Sierra ; 
Silke Wagner ; 
0100101110101101.org
24.09.2004 - 09.01.2005
  • Das Foto zeigt das Obergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit der Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
    Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Obergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit dem Kunstwerk von Silke Wagner: Copyleft. Foto © Edith-Russ-Haus
    Silke Wagner: Copyleft. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Obergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit der Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
    Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Obergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit der Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
    Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Obergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit der Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
    Ausstellungsansicht Systemstörung. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Obergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit dem Kunstwerk von Josh On: net art piece. Foto © Edith-Russ-Haus
    Josh On: net art piece. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Untergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit dem Kunstwerk von Minerva Cuevas: Mejor Vida Corp. Foto © Edith-Russ-Haus
    Minerva Cuevas: Mejor Vida Corp. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Untergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit dem Kunstwerk von Minerva Cuevas: Mejor Vida Corp. Foto © Edith-Russ-Haus
    Minerva Cuevas: Mejor Vida Corp. Foto © Edith-Russ-Haus
  • Das Foto zeigt das Untergeschoss des Edith-Russ-Hauses mit dem Kunstwerk von Minerva Cuevas: Mejor Vida Corp. Foto © Edith-Russ-Haus
    Minerva Cuevas: Mejor Vida Corp. Foto © Edith-Russ-Haus
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Heute gibt es ein ausgeprägtes Bewusstsein dafür, dass die eigene Lebenswelt von Systemen beherrscht wird: Technologische Systeme, politische Systeme, Machtsysteme, Gesellschaftssysteme, Datensysteme oder ökonomische Systeme sind hierfür nur einige Beispiele. Die Frage ist, wie man sich innerhalb der jeweiligen Systeme positioniert. Der Wunsch, unter dem Radar dieser Systeme zu agieren, sie zu unterwandern, zu transferieren oder ihre manchmal schattenhaften Strukturen offen darzulegen, ist die Basis der künstlerischen Arbeiten dieser Ausstellung. Das Ziel ist nicht die totale Zerstörung eines Systems, sondern eine Möglichkeit des Handelns zu finden. Vielmehr geht es um eine Inszenierung der Störung als Statement und Haltung. Systeme, die von einer Aura der kühlen Autorität umgeben sind, sind doch antastbar. Für das Individuum besteht Hoffnung, sich innerhalb der Vereinnahmung durch Systeme zurechtzufinden und zu agieren.

Silke Wagners Neonlicht in Form des Copyleft-Symbols repräsentiert die Idee, dass geistiges Eigentum für alle frei sein sollte. Wer zum Beispiel einen Text geschrieben oder eine Software entwickelt hat, kann dieses Symbol nutzen, um andere davon abzuhalten, ihr Copyright darauf zu setzen. Allerdings ist die Copyleft-Bewegung sehr umstritten, da viele Menschen von ihrem geistigen Eigentum leben müssen. Andererseits ist der Gedanke des Copylefting, und damit der Gedanke Gemeineigentum für jederman zugänglich zu halten, recht verlockend, da die Industrie immer mehr Rechte sowohl an Bildern bis hin zu neuen gentechnisch veränderten Lebensformen, einfordert und damit zu weit geht. 

Systeme transparent zu machen ist der Schwerpunkt der Recherchen, die Mark Lombardi für seine Zeichnungen durchgeführt hat. Sie legen Machtstrukturen, solide Verbindungen zwischen Politiker*innen, gewichtige Geschäftsabschlüsse und internationale oder nationale Politik in präzisen Diagrammen offen.

Ein Echo von Lombardis Geist findet sich auch in Josh Ons Netzkunstwerk They Rule. Doch statt der Wärme, die Lombardis Graphit auf Papier ausstrahlt, nutzt Josh On die Informationsflut des Internets. Durch eine Reihe von grafischen Darstellungen kann die anwendende Person leicht erkennen, wer die Fäden in Politik und Wirtschaft in der Hand hält. Mit Hilfe von They Rule kann die anwendende Person des Weiteren tief in das Internet eindringen, um herauszufinden, wie weit der Einfluss der Mächtigen wirklich reicht.

Diese Art der Transparenz und des Sammelns von Daten ist auch mit der Unlimited Edition of Xerox Copies von Hans Haacke aus dem Jahr 1973 verwandt. Hier analysiert er die Daten aus einer Umfrage, die er über die Besuchenden der John Weber Gallery gesammelt hat, und stellt sie in Diagrammen dar. Haacke betrachtete die Mitglieder der Kunstwelt nicht als Kenner, sondern als eine quantifizierte Fokusgruppe, die berücksichtigt oder ignoriert, und vermarktet werden kann. In Systemstörung werden diese Informationen wieder öffentlich an die Besuchenden weitergegeben.

Dreißig Jahre und viele Generationen des Data Mining später hat Franz Alken das Netzkunstwerk Machines Will Eat Itself entwickelt, das den Nutzer*innen die Möglichkeit gibt, die Art und Weise, wie das Internet in ihre Privatsphäre eingedringt, unterbricht. Alken hat nämlich der Data-Mining-Industrie eine Falle gestellt. Indem er die User darüber aufklärt, wie ihre Verbraucher- und Privatdaten gesammelt werden, ermöglicht er es ihnen so, einen Bot zu erstellen. Dieser wirkt wie ein Lockvogel, der durch das Internet reist und die Maschinen mit falschen persönlichen Informationen füttert.

Das Anliegen der Gruppe 0100101110101101.ORG ist noch drastischer. Ihr Virus biennale.py schlängelt sich durch die Computernetze. Obwohl er eigentlich harmlos ist weckt allein seine Existenz eine dramatische Angst vor der Macht des Computers und der Abhängigkeit der Gesellschaft.

In einem anderen Werk bietet uns David Still eine subtilere Störung des Computers an. Er gibt seine Identität im Internet preis, so dass man in seinem Namen, in der völligen Privatsphäre des Pseudonyms, Nachrichten versenden kann.

Andrea Fraser wandte sich 1986 mit ihrer Arbeit AMUSE(UM) direkt an das System der Kunstwelt und hat nun eine auf das Oldenburger Publikum zugeschnittene deutsche Version aufgenommen. Die banalen Mottos und Sprüche der Kulturvermarktung werden aus der Peripherie des Museumserlebnisses geholt und in den Vordergrund gerückt, indem die Besuchenden beim Betreten und Verlassen des Gebäudes mit ihnen konfrontiert werden. Jedes Mal, wenn die Tür des Museums geöffnet oder geschlossen wird, hört der Besuchende all die kleinen Hinweise, die in schriftlichem Material oft nicht beachtet werden. Fraser kehrt das normale Verhältnis zwischen institutioneller und künstlerischer Information um und stört so die Museumserfahrung.

Die Beziehung des Menschen zur städtischen Architektur und ihre Metapher als Last wird in Calin Dans Sample City thematisiert. In Osteuropa sind architektonische und soziale Systeme ein allgegenwärtiges Thema. In diesem Video spürt man, wie der Aufbau und die Zerstörung einer Stadt, in diesem Fall Bukarest, das Leben ihrer Bewohner*innen prägt.

Der Imperativ des Systemstörung ist eine starke Thematik in der Kunst Lateinamerikas. Ein Künstler, der diese künstlerische Position anführt, ist der Brasilianer Cildo Meireles, der 1978 eine unbegrenzte Auflage von Zero Dollars konzipierte. Im Laufe der Jahre hat er den (Kunst-)Markt mit diesem ironischen Kommentar zur globalen Wirtschaft überschwemmt und den wirtschaftlichen Wert in Frage gestellt.

Minerva Cuevas geht sogar noch weiter. Sie entwirft Studierendenausweise für eine mexikanische Fernuniversität. Dies ist eine direkte Guerillataktik, die es jedem Besuchenden des Museums ermöglicht, günstigere Theaterkarten, Flüge und vieles mehr zu bekommen. Dies ist sowohl Kunst als soziale Aktion als auch Protest in einem. 

Über allem schwebt der Sound von Santiago Sierras Aufnahme eines Cacerolada-Protests gegen das argentinische Bankensystem aus dem Jahr 2002. Sierra bot kostenlose CDs mit dem Klang von Tausenden von Töpfen und Pfannen an, die aus Protest gegen diese wirtschaftliche Katastrophe abgespielt werden sollten. Doch der Begriff bedeutet inzwischen viel mehr als das. Als die argentinische Bevölkerung auf die Straße ging, waren sie laut, unnachgiebig und wortgewandt. Ihre Aktionen waren ein Erfolg gegen ein Weltwirtschaftssystem, das viel größer zu sein schien als die Menschen. Aber jetzt ist das Klopfen auf Metalltöpfe und Pfannen sowohl eine Warnung, als auch eine Erinnerung daran, dass eine Störung ein System wirklich beeinflussen kann.