Wild - Transgender and the Communities of Desire
Wild – Transgender and the Communities of Desire ist eine internationale Gruppenausstellung und versammelt aktuelle Kunstwerke, die sich mit Fragen und Herausforderungen des Lebens und der Communities von Transgendern beschäftigen. Dabei geht es nicht unbedingt um eine Untersuchung der Komplexität des Transgenderismus; vielmehr bietet der Transgenderismus in den künstlerischen Arbeiten der Ausstellung eine Perspektive, aus der gegenwärtige (gesellschaftliche) Verhältnisse und Lebensbedingungen betrachtet und erzählt werden.
Die Ausstellung bezieht sich auf das Konzept des „Wilden“, das der Wissenschaftler Jack Halberstam entwickelte, und lenkt den Blick darauf, wie die Komplexität des sozialen Geschlechts die binäre Organisationsform der Gesellschaft beständig infrage stellt. Die Ausstellung vertritt die Haltung, dass diese Komplexität nicht als „Problem“ oder „Schwierigkeit“, sondern als ein wildes Spektrum menschlicher Möglichkeiten beschrieben werden sollte. So erinnert Halberstam daran, dass der Begriff des „Wilden“ – aus seinem kolonialgeschichtlichen Zusammenhang zurückgeholt – im Hinblick auf Gesellschaftsmodelle „andere Narrative [bietet], wie ein Leben grundsätzlich sein kann.“ So kann an den Rändern der Gesellschaft – in diesem Fall durch die Stimmen, Strategien und Perspektiven von Transgendern – eine starke und wirkungsvolle Kritik entstehen. Viele Kunstwerke in Wild inszenieren auf den Ruinen der verarmten politischen Fantasie der Gegenwart noch einmal die Möglichkeiten einer anderen Zukunft.
Ausgangspunkt des Ausstellungsprojekts war Doireann O’Malleys Film Protopypes (2017). Diese neue Arbeit der Künstlerin entstand im Rahmen ihres Stipendiums am Edith-Russ-Haus und versucht, mit einem traumartigen, von der Sciencefiction inspirierten Blick die facettenreichen Erfahrungen der Gender-Transition zu erforschen. Der Film untersucht, wie O’Malley schreibt, „die Neukonstruktion von Transkörpern als molekularbiologische, experimentelle Körper-Geist-Maschinen – ein Versuchsfeld, auf dem die Protagonisten mit molekularbiologischen und technologischen Systemen kooperieren, um eine künftige menschliche Spezies zu entwerfen.“ In der Installation bringt O’Malley Transgenderismus, Science-Fiction, Biopolitik, Psychoanalyse und künstliche Intelligenz zusammen. Sie verbindet diese mit den Gespenstern modernistischer Utopien und verknüpft flüchtige Ausblicke auf die Zukunft mit den nicht eingelösten Versprechen der Vergangenheit.
In der Installation von Johannes Paul Raether lässt sich die „psychorealistische“ Lebenslinie der FigurenTransformella, Queen of Debris und Transformalor – Leihmutter des Instituts für Reproduktive Zukünfte – im Edith-Russ-Haus nieder. Die Figuren im Zentrum der Installation sind nur einige der zahlreichen „AlterIdentities“, die aus Raethers zyklischem System von Performances als Verkörperungen, Materialisierungen und Visualisierungen gesellschaftlicher Paradoxien und katastrophaler politischer Fakten hervorgegangen sind. Als „Forschungs-Avataras“ vertreten Transformella/or das emanzipatorische Potenzial biomedizinischer Innovationen auf dem Gebiet der Assistierten Reproduktion.
Chris E. Vargas’ fortlaufendes konzeptuelles Online-Projekt, das 2013 gegründete Museum of Transgender History and Art, wird in der Ausstellung als Studienraum präsentiert, in dem eine umfassende visuelle Geschichte der Transgender-Kultur entsteht.
Die Filminstallation I Want (2015) von Pauline Boudry und Renate Lorenz beruht auf einem Drehbuch, das Texte der Punk-Poetin Kathy Acker und Aussagen der Whistleblowerin Chelsea Manning plagiiert, die sich während ihrer Inhaftierung in einem US-Militärgefängnis als Transfrau outete. In der Arbeit von Boudry und Lorenz fordert Ackers poetische Strategie des Identitätstauschs zu einer neuen Interpretation von Mannings öffentlichen Enthüllungen heraus. Die Performance inszeniert Mannings Vorgehen – die Veröffentlichung wichtiger, vertraulicher Militärinformationen und diplomatischer Dokumente durch Wikileaks sowie die Aufdeckung ihrer Transgender-Identität – als kraftvollen Widerstand gegen den Krieg und als Transgression der Art und Weise, wie Gender und Sexualität im Dienste des Militärs eingesetzt werden.
In ihrer Serie Faces and Phaseskämpft die südafrikanische aktivistische Person Zanele Muholi mit der Porträtfotografie als Waffe gegen ein queer-feindliches Umfeld. Sie nutzt die Porträtfotos, um die Geschichte und die Erinnerungen ihrer queeren Communities festzuhalten, deren alltägliche Kämpfe zu dokumentieren und das Publikum in die von Vertrauen geprägten Räume dieser Communities einzuladen. Die Serie versucht, mit den weit verbreiteten Darstellungen zu brechen, die das Leben von queeren Personen ständig in der Opferrolle und als Zielscheibe von Hassverbrechen zeigen. Anstatt Gewalt abzubilden, vermittelt Faces and Phases Erfahrungen von Nähe und Liebe im Alltag.
Die meisten Arbeiten in Wild – Transgender and the Communities of Desire kritisieren die heteronormativen Kräfte in der Gesellschaft und vergegenwärtigen zugleich die Potenziale anderer Formen von Gemeinschaft und Intimität, die nicht nur das Leben am Rande der Gesellschaft, sondern das Leben aller Menschen bereichern können. Die Vorstellungen von künftigen Communities, die in den Arbeiten der Ausstellung sichtbar werden, beruhen nicht auf Wettbewerb, Überlebenskämpfen und kollektiven ökonomischen Zwängen, sondern auf Freundschaft und gegenseitiger Unterstützung, auf gemeinsamen Wünschen und auf Singularitäten.
Angesichts wachsender Sympathien für rechtsgerichtete Ansichten in vielen Gesellschaften erkennen wir die Transgender-Bewegung als einen neuen Bereich des Menschenrechtsdiskurses an, dessen politisches Potenzial die ausgestellten Kunstwerke aufzeigen.
Doireann O’Malley war Preisträgerin des Stipendiums für Medienkunst der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus 2016.
Kuratiert von Edit Molnár & Marcel Schwierin.
Das Infoheft zur Ausstellung mit Kurzbeschreibungen aller ausgestellten Werke kann als PDF kostenlos heruntergeladen werden. Die Nutzung ist ausschließlich für private Zwecke, andere Nutzungen müssen mit dem Edith-Russ-Haus abgestimmt werden. Download hier.