Possessed Landscapes
Die internationale Gruppenausstellung Possessed Landscapes beschäftigt sich mit künstlerischen Repräsentationen von Landschaft – allerdings nicht in ihren kunsthistorischen Darstellungen als Ort der Erholung, als allegorisches Instrument oder als Platzhalterin einer erhabenen Schönheit. Possessed Landscapes untersucht vielmehr die Beziehungen der Menschen zum Land unter den Gesichtspunkten der Extraktion, Ausbeutung und Kolonisierung.
Der Ausstellungstitel Possessed Landscapes kann mit „Landschaften im Besitz“, aber auch mit „Besessene Landschaften“ übersetzt werden. Er verweist sowohl auf indigene Vorstellungen, nach denen das Land von Vorfahren bewohnt wird, als auch auf deren Verdrängung durch eine industrielle Inbesitznahme von Land, die auf grenzenlose Extraktion abzielt und ausgedehnte, anonyme Landschaften der Gier erzeugt.
Die eingeladenen Künstlerinnen und Künstler setzen sich mit Landschaften auseinander, die durch industrielle Verfahren radikal verändert wurden. Die dort lebenden Menschen mussten sich diesen Veränderungen anpassen. Sie haben dies in den meisten Fällen nicht freiwillig getan und wirken in den dystopischen Landschaften daher oft wie Fremdkörper. Denn oft beginnt die Ausbeutung der Landschaften, die in den ausgestellten Kunstwerken zu sehen sind, mit der Enteignung von Land und der Entrechtung der dort Lebenden.
Im Mittelpunkt von Possessed Landscapes steht eine neue Auftragsarbeit desdeutsch-usbekischen Künstlers Viktor Brim, eine Recherche über die Diamantenmine „Mir“, eines der weltweit größten Diamantenbergwerke, in der russischen Teilrepublik Yakutien. Brims Imperial Machine(2020) untersucht die Kontinuitäten zwischen den Ressourcenpolitiken der Sowjetunion unter Josef Stalin und der Russischen Föderation Wladimir Putins, vor allem am Beispiel der Diamantenmine „Mir“ und im Hinblick auf die kolonialen Strategien der beiden Regime. Brims Arbeit umfasst einen Film, der vor Ort entstand, eine ortsspezifische architektonische Installation, eine neue Publikation zu Brims Archivrecherchen über sowjetische und russische Rhetorik sowie eine Auswahl weiterer Materialien. Der Film bietet eine komplexe Auseinandersetzung mit den Auswirkungen von zwei aufeinanderfolgenden Regimen auf eine konkrete Landschaft. Doch auch wenn sich Brims Arbeit auf Sibirien konzentriert, lädt sie zu grundsätzlicheren Überlegungen über die weltweite Ausbeutung von Bodenschätzen ein.
The Gas Imaginary (2013–2019) ist ein Langzeitforschungsprojekt von Rachel O’Reilly, das vor Kurzem abgeschlossen wurde und erstmals in Deutschland im Rahmen von Possessed Landscapes präsentiert wird. The Gas Imaginary umfasst poetische Texte, dokumentarisches Fotomaterial, archi-poetische Diagramme und Essays. Das Projekt untersucht die ästhetischen Sprachen, die mechanische Ideologie, die spekulative Ökonomie und die technokulturelle Strukturierung, die mit der groß angelegten Einführung der „unkonventionellen“ Gasförderung (Fracking) einhergehen. Computergenerierte Bilder (CGI), Pläne von Konzernen und Drohnenaufnahmen von Aktivistinnen und Aktivisten werden verwendet, um den rassifizierten Konzeptualismus von Eigentumsgesetzen zu beschreiben, die eine Voraussetzung für die ungehinderte Ausbeutung von Bodenschätzen in einer Siedlerkolonie bilden. Im Rahmen von Possessed Landscapes entsteht eine interessante Beziehung zwischen O’Reillys Projekt und der Arbeit von Viktor Brim: Das „Mir“-Bergwerk steht für das moderne Modell der vertikalen Förderung und der Verherrlichung einer gewaltsamen Ausbeutung von Bodenschätzen als Teil des Kolonisierungsprojekts. The Gas Imaginary beschäftigt sich auch mit dem horizontalen Charakter des Frackings, einer Form der toxischen Extraktion durch horizontale Bohrungen, die O’Reilly als „internes Kolonisierungsprojekt“ bezeichnet.
Die Ausstellung befasst sich auch mit einer propagandistischen Bildsprache, die industrielle Ausbeutung als „Abenteuergeschichte“ darstellt (wie zum Beispiel die Kampagnen der Fracking-Industrie und der russischen Diamantenminen). Diesen Bildwelten stellt Possessed Landscapes künstlerische Arbeiten gegenüber, die sichtbar machen, aufgrund welcher Verhältnisse solche sozialen und ökologischen Landschaften entstehen konnten.
Viele der ausgestellten Projekte nutzen Bilder, die von Drohnen aufgenommen wurden. Diese relativ neue Form der Fotografie, die auf aktuellen technologischen Entwicklungen beruht, kommt hier nicht wegen der spektakulären Luftaufnahmen zum Einsatz. Drohnen dienen vielmehr als preiswerte, leicht verfügbare Instrumente für zivile forensische Recherchen, mit denen man die Praktiken der Industrie und den Zustand von Ökosystemen untersuchen kann. Tanja Engelberts verwendet solche Aufnahmen in ihrer Videoarbeit Hollow (2019), die auf aktuellen Recherchen der Künstlerin über eine künstliche niederländische Insel beruht. Diese Insel ist wie ein Ringdeich angelegt und dient als Deponie für toxischen Schlamm aus kontaminierten niederländischen Gewässern.
Der Film Fán Dòng (The Worldly Cave) (2017) von Zhou Tao entstand an verschiedenen Schauplätzen rund um den Globus. Das Video hat kein Drehbuch und erzählt keine Geschichte, sondern schildert, wie sich Menschen und Tiere an veränderliche Lebensbedingungen anpassen, und zeigt Landschaften im ständigen Wandel. Die Landschaften in Fán Dòng wirken irgendwie künstlich, und das dargestellte organische Leben und die Erfahrungen der Körper, die sich in diesen technologischen Infrastrukturen bewegen, gehen in einem ebenso individuellen wie kollektiven, unablässigen Transformationsprozess nahtlos ineinander über.
Karikpo Pipeline (2015) ist eine Fünf-Kanal-Videoinstallationvon Zina Saro-Wiwa. Die Filmaufnahmen entstanden im Ogoniland in Nigeria, das für seine ergiebigen Ölfelder bekannt ist. Der Konzern Royal Dutch Shell beutete diese Ölvorkommen im Niger-Delta zwischen 1958 und 1994 ohne Rücksicht auf die lokale Bevölkerung und die Umwelt aus. Saro-Wiwas poetische Videoinstallation beschäftigt sich am Beispiel dieser umkämpften Region mit kulturellen und spirituellen Beziehungen zum Land.
Die in der Ausstellung gezeigten Arbeiten umfassen ortsspezifische Installationen, Videos und Videoessays. Sie behandeln auf vielfältige Weise die markanten Unterschiede zwischen kapitalistischen und indigenen Vorstellungen von Land. Aus der Perspektive des Kapitalismus ist Land etwas, das Menschen besitzen und das als „Billige Natur“ ohne Gegenleistung ausgebeutet werden kann. Viele indigene Gruppen lehnen dieses „parasitäre“ Verhältnis ab und vertreten einen entgegengesetzten Standpunkt: Für sie ist es vielmehr das Land, welches die Menschen besitzt.
Kuratiert von Edit Molnár & Marcel Schwierin.
Das Infoheft zur Ausstellung mit Kurzbeschreibungen aller ausgestellten Werke kann als PDF kostenlos heruntergeladen werden. Die Nutzung ist ausschließlich für private Zwecke, andere Nutzungen müssen mit dem Edith-Russ-Haus abgestimmt werden. Download hier.
- Vimeo:
Dienst aktivieren und der Datenübertragung an Vimeo zustimmen. Informationen zum Datenschutz und dem Widerruf der Freigabe finden Sie hier: Datenschutzerklärung - Vimeo:
Dienst aktivieren und der Datenübertragung an Vimeo zustimmen. Informationen zum Datenschutz und dem Widerruf der Freigabe finden Sie hier: Datenschutzerklärung