G for Gong
Die Installationen des singapurischen Videokünstlers und Theaterregisseurs Ho Tzu Nyen sind visuell beeindruckende, opulente Arbeiten reich an vielfältigen, komplexen kulturellen Referenzen. Mannigfaltige Konzepte, Bildwelten und Anspielungen auf die Geschichte der östlichen und westlichen Literatur, Kunst und Musik werden mit vielschichtigen Soundcollagen verwoben, um diese enigmatischen Arbeiten entstehen zu lassen, die dem Betrachter auf jeder Wahrnehmungsebene neue Bedeutungsschichten eröffnen. Hos zentrales Thema ist die Auseinandersetzung mit der kulturellen Identität Südostasiens, in die sich eine derartige Vielfalt an Sprachen, Religionen, Kulturen und Einflüssen einschreiben und überschreiben, dass sie sich kaum auf einen fundamentalen historischen Kern herunterbrechen lässt.
Die früheste Arbeit in dieser Ausstellung – der ersten Überblicksschau von Hos Werk in Deutschland – ist Utama – Every Name in History is I, eine Filmarbeit aus dem Jahr 2003, die in inszenierten, auf Gemälden basierenden Szenen die mythische Gründung Singapurs untersucht.
Der Angelpunkt der intensiven Beschäftigung des Künstlers mit den Geschichten dieser Region ist die Multimediaarbeit Critical Dictionary of Southeast Asia (CDOSEA) aus dem Jahr 2017, die 26 Teile umfasst, welche dieses spezifische Wissen in einer das englische Alphabet spiegelnden Struktur gliedern. Die Videokomponente des Projekts bedient sich eines algorithmisch arbeitenden Schnittprogramms, um als Begleitung jedes Texteintrags gefundenes Livematerial aus Online-Quellen wiederzugeben und neu darzustellen, wodurch Ho parallele Narrative lokaler animistischer Kosmologien mit jenen der verschiedenen Kolonialismen und Modernisierungen verbindet. Er interessiert sich weniger für eine einfache historische Wahrheit, als vielmehr dafür, „wie diese konstruierten Geschichten unsere Art und Weise des Denkens und des Lebens regulieren, definieren und kontrollieren“. Das allumfassende Format des Wörterbuchs steht für Hos ebenso obsessiven wie ambitionierten Versuch, mit seiner Kunst eine ganze Welt zu beschreiben – CDOSEA umfasst nicht nur die 26 Wörterbucheinträge, sondern fungiert in Erweiterung auch als übergreifendes Projekt, in dem Arbeiten aus den vergangenen 15 Jahren versammelt sind.
In 2 or 3 Tigers (2016) – der dritten Arbeit Hos, die in CDOSEA unter dem Buchstaben T verzeichnet ist – sehen wir computergenerierte Figuren, die durch einen menschlichen Performer mittels Motion-Capture-Technik animiert werden, womit Ho die metamorphotischen Möglichkeiten der digitalen Bildbearbeitung nutzt, um die Welten des Menschlichen und des Tierischen zu durchkreuzen. Die Tiger, die in vielen Ländern Südostasiens aufgrund der Ausweitung von Plantagen vom Aussterben bedroht sind, kehren hier als Metapher wieder. Für Ho sind Tiger eine der wenigen Kreaturen, die symbolisch die verschiedenen Kulturen der Region miteinander verbinden können, da Mensch-Tiger-Transformationen in zahlreichen regionalen Mythologien wie interessanterweise auch in der vorherrschenden modernen Bildwelt auftauchen: Die malaiischen Kommunisten wurden Tiger genannt, während die Briten den äußerst gefürchteten japanischen Soldaten tigerähnliche Attribute zuschrieben.
In diesem Netz von Referenzen findet die zweiteilige Videoarbeit The Name und The Nameless ihren spezifischen Ort im Wörterbuch unter dem Buchstaben G, wie „Gene Z. Hanrahan“ und „Geist“. Hanrahan ist der Autor des Buches The Communist Struggle in Malaya (1954), eine der frühesten Studien zur Geschichte der Malaiischen Kommunistischen Partei, in der Übersetzungen einiger der wichtigsten internen Dokumente zur politischen und militärischen Strategie der Partei seit ihrer Gründung 1951 erstmals publiziert wurden. Auch wenn es praktisch keine größere oder kleinere Arbeit über den Konflikt gibt, die Hanrahans Buch nicht zitieren würde, wird in The Name Hanrahans Identität als Ghostwriter offenbart. The Nameless beschäftigt sich mit Fragen der politischen Konspiration, multipler Identitäten und der verschiedenen Mächte, die die Geschichte Südostasiens beeinflusst haben, indem die Arbeit das Porträt des Dreifachagenten Lai Teck zeichnet, der von 1939 bis 1947 Generalsekretär der Malaiischen Kommunistischen Partei war. Zugleich handelt The Nameless auch vom Kino und vom Schauspielen. Von den bedeutendsten Kinokulturen der Welt ist es vielleicht diejenige Hongkongs, die die stärkste Faszination für „kompromittierte“ Menschen gezeigt hat, wie in dem konstanten Strom von Filmen über Spitzel, Doppelagenten, Informanten und Verräter augenfällig wird. Hos eigener Film handelt ebenfalls von einem Chamäleon, erzählt durch eine Reihe entliehener Bilder und mit einem Schauspieler aus einem Land mit vielfältigen Bindungen.
Hos jüngste Arbeit, R for Resonance (2018), die im Rahmen der Ausstellung G for Gong zum ersten Mal in Europa gezeigt wird, ist eine Fortsetzung des Wörterbuchs von CDOSEA mittels der scheinbar endlosen Möglichkeiten der virtuellen Realität. Die Ausstellung hat ihren Titel von seinem Protagonisten übernommen, dem Gong, der nicht nur bereits für Stammesrituale ein wichtiges Instrument war, sondern auch in Hos beziehungsreichem Universum eine signifikante metaphorische Anwesenheit darstellt. Der Gong erschien zuerst in einem historischen Augenblick, der durch die Bildung neuer sozialer Hierarchien in der Region markiert war, und die Resonanz, die er weiterhin erzeugt, kann als ein poetisches Modell dienen, um über Südostasien nachzudenken – eine Art der erbebenden Vibration im Raum.
Diese Ausstellung ist ein gemeinsames Projekt des Edith-Russ-Hauses und des Projekts The Dynamic Archive der Hochschule für Künste Bremen.
Kuratiert von Edit Molnár & Marcel Schwierin.