The Scar
Die dreiteilige, großformatige Mixed-Media-Installation The Scar von Noor Afshan Mirza und Brad Butler ist die zentrale Arbeit in der ersten Soloausstellung des Künstlerduos in Deutschland.
The Scar verbindet die Genres Gangsterfilm und Film noir, Korruption, Fantasie und Realität und bildet den Abschluss eines mehrjährigen Rechercheprojekts, das sich lose auf einen massiven Skandal in der politischen Geschichte der Türkei bezieht. Im ersten Film (The State of the State) befinden sich in einem schwarzen Mercedes vier Reisende, die sich ihrer Bedeutung als archetypische Figuren des Staates nicht bewusst sind: ein Polizeichef, ein Politiker und ein rechtsradikaler Attentäter. Die vierte Person, die einzige Frau im Fahrzeug, ist Yenge; sie ist in ihrer Rolle durch die Konventionen des Genres zum Schweigen verurteilt. Im zweiten Film (The Mouth of the Shark) beginnt Yenges Stimme in Stil des Film noir, die überzogene Prahlerei der männlichen Figuren durch Hintergrundkommentare zu unterbrechen. Unterdessen wird der Mercedes von den Resistant Dead verfolgt – Regungen, die auf den Geschichten von Menschen beruhen, die sich weigern, vergessen zu werden. Der letzte Teil des Films (The Gossip) dreht sich um Geschichten von weiblicher Emanzipation und Ermächtigung: Eine Gruppe von Aktivistinnen überschreitet zeitliche, geografische und sprachliche Grenzen und versammelt sich in einer neutralen Unterwelt der Gespräche und der gegenseitigen Unterstützung. In allen drei Filmen wurden die Namen der Figuren, die Handlung und die Schauplätze durch die Stilmittel des Magischen Realismus fiktionalisiert.
Neben der großformatigen Installation The Scar versammelt die Ausstellung Filme, Videoinstallationen, Zeichnungen und Collagen aus den vergangenen zehn Jahren; sie bietet einen Überblick über die Suche des Künstlerduos nach den Möglichkeiten einer politischen Kunstpraxis, die sich mit den Themen Widerstand, Ungleichheit, Macht, Privilegien und (Nicht-)Teilhabe auseinandersetzt.
Dabei differenzieren ihre Arbeiten zwischen einer Kunst, die im politischen Kampf entsteht, und einer Kunst, die von solchen Kämpfen handelt. So beruhen ihre Videoprojekte The Exception and the Rule (2009), Deep State (2012) oder Hold Your Ground (2012) auf einer erweiterten Vorstellung davon, wie das Politische mit und durch den Körper gedacht werden kann.
Ihre partizipatorische Installation You Are the Prime Minister (2014–2018) beschäftigt sich mit der Frage der politischen Verantwortung und mit der Kritik an Partizipationsmöglichkeiten durch die politischen Instrumente der liberalen Demokratie. Die Arbeit untersucht Situationen, in denen es dem Parlament nicht zu gelingen scheint, das Bedürfnis der Mehrheit nach Repräsentation anzusprechen. Die Arbeit wurde für die Ausstellung im Edith-Russ-Haus aktualisiert und für den politischen Kontext in Deutschland unter dem Titel Sie sind Bundeskanzler*in adaptiert.
Noor Afshan Mirza und Brad Butler leben und arbeiten zwischen Istanbul und London und arbeiten seit 1998 zusammen. 2017 erhielten sie das Stipendium für Medienkunst der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus.
Kuratiert von Edit Molnár & Marcel Schwierin.
Das Infoheft zur Ausstellung mit Kurzbeschreibungen aller ausgestellten Werke kann als PDF kostenlos heruntergeladen werden. Die Nutzung ist ausschließlich für private Zwecke, andere Nutzungen müssen mit dem Edith-Russ-Haus abgestimmt werden. Download hier.