Ausstellung

Kinder der Ruhr

Marie-Jo Lafontaine
17.03.2000 - 30.04.2000
  • Das Foto zeigt den Flyer zur Ausstellung Marie-Jo Lafontaine: Kinder der Ruhr. Foto © Edith-Russ-Haus
    Marie-Jo Lafontaine: Kinder der Ruhr. Foto © Edith-Russ-Haus
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Die Kunst besteht darin, die anderen Menschen fühlen zu lassen, was wir fühlen, sie von sich selbst zu befreien und ihnen unsere Persönlichkeit für diese besondere Befreiung vorzuschlagen.
Fernando Pessoa 

"Peruanisches Mädchen mit schwarzen Haaren", "Asiatischer Junge" oder "Blonder Junge mit rundem Gesicht" – die international arbeitende und aus Belgien stammende Künstlerin Marie-Jo Lafontaine gibt ihren Kinder-Bildern in der Regel nüchtern beschreibende Titel, nur wenigen verleiht sie eine poetische Beschreibung wie "Eine Anemone zwischen Dornen". Seit 1996 arbeitet sie an dem photographischen Zyklus "Kinder der Ruhr", den sie als work in progress konzipiert hat und in wechselnden Konstellationen ausstellt. Im Edith-Russ-Haus für Medienkunst wird Marie-Jo Lafontaine den Zyklus in einer seit wenigen Wochen um 5 Arbeiten ergänzten Zusammenstellung zeigen.

Neunzehn "Kinder der Ruhr" präsentieren sich in großformatigen Photographien. Es sind ausnahmslos Einzelportraits, unterlegt mit einer farbigen Predella und einer Höhe von über zwei Metern. Von ihrer erhöhten Position herab blicken die Kinder ihr Gegenüber direkt an und sind gleichzeitig dessen Beobachtung ausgeliefert. Die Schönheit der Darstellung verführt zunächst zur Betrachtung, doch die Monumentalität und die Erhabenheit der Bilder wirken auch verstörend. In dieser Verstörung ist die Konfrontation mit dem ernsten intensiven Blick der Portraitierten eine Herausforderung für den Betrachter. Die Kinder fordern seine Aufmerksamkeit, eindringlich fordern sie ihm eine Haltung ab. Trotz ihrer Nacktheit sind es nicht die Kinder, die schutzlos sind – tatsächlich sind wir es, die Betrachter.

Die Kinder der Ruhr' sind Jungen und Mädchen verschiedener Volksgruppen und unterschiedlichen Alters, wie sie in vielen Orten des Ruhrgebiets leben. Ökonomisch vom Leben in einem industriellen Ballungszentrum abhängig, sind sie gezwungen, auf engem Raum miteinander, nebeneinander und oft sogar gegeneinander zu leben; Individualität zu behaupten ist schwer. Das Unbehagen an diesen Bildern resultiert unter anderem aus einem Gefühl der Verantwortung: Kinder sind auf dieser Welt, weil wir sie geschaffen haben.

Über die soziale Situation von Kindern hinaus, verweist der Zyklus allgemein auf die 'conditio humana' des modernen Menschen, ohne diese zu bewerten. Vielmehr gelingt es Marie-Jo Lafontaine, Kunst als Projektion erfahrbar zu machen - als Projektion der eigenen Befindlichkeit auf das Werk, in der jeder Augenblick der Betrachtung offen ist auch für eine prüfende Beobachtung des Selbst. Ausschließlich im Sinne dieser Offenheit sind die Kinder-Bilder moralisch.

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