James Newitt: From above, an island
James Newitts Einzelausstellung präsentiert erstmals die
großformatige 3-Kanal-Videoinstallation HAVEN (2023). Diese neue
Auftragsarbeit, die im Mittelpunkt der Ausstellung steht, ist eine poetische
Neufassung einer bizarren Geschichte über einen verlassenen Wehrturm in der
Nordsee. Das Relikt aus dem Zweiten Weltkrieg wird seit den 1960er Jahren von
einer britischen Familie besetzt; diese erklärte das künstliche Territorium zu
ihrem Eigentum und als unabhängig von jeder Staatsmacht.
Die Familie hatte zunächst vor, vom diesem Turm aus einen Hörfunk-Piratensender
zu betreiben; Anfang der 2000er Jahre arbeitete sie mit zwei Cyber-Libertären
zusammen, um den ersten Datenhafen der Welt zu gründen, den sie als „Piraten-Internet″
bezeichnete. Der Datenhafen
versprach, der einzige Ort der Welt zu sein, an dem Informationen wirklich
sicher seien. HAVEN betrachtet diesen Turm als einen widersprüchlichen
Ort, der einerseits für Souveränität und Datenautonomie wirbt, andererseits
jedoch von einem geschlossenen und isolierten Familienverbund kontrolliert
wird.
HAVEN stellt auch andere utopische und neoliberale Unternehmungen vor,
darunter das libertäre Projekt Seasteading,
das schwimmende Wohn- und Lebensräume für mobile Gemeinschaften schaffen will,
die sie als „Start-up-Länder″
bezeichnet. Oder
Microsofts Project Natick, das erste
Unterwasser-Rechenzentrum der Welt. Newitt greift diese Beispiele auf, um neue
Vorstellungen zu entwickeln, welche Möglichkeiten das Meer Menschen bietet,
extraterritoriale Orte – Räume außerhalb von Staatsgebieten – zu finden;
zugleich wirft er einen kritischen Blick auf die oftmals kapitalistischen und
kolonialistischen Ideologien hinter solchen Projekten.
HAVEN nutzt vorgefundenes Material,
Archivfilme und Animationstechnik, um eine neue Vorstellung von einer
autonomen, von Menschen geschaffenen Insel und von einer klaustrophobischen
Familienstruktur zu entwerfen. Newitt beschäftigte sich mit verwandten Themen
und Erzählstrategien bereits in früheren Arbeiten, von denen einige in der Ausstellung
zu sehen sind. Diese wiederkehrenden Interessen beruhen auf Newitts Faszination
durch die widersprüchliche, existenzielle Situation eines Inselbewohners, der
die verlassene Insel als Ort des Rückzugs aus der Gesellschaft und zugleich als
eine Form von Eroberung wahrnimmt, die mit den Wunschvorstellungen und
Einschränkungen einer kolonialistischen Einstellung belastet ist.
In seiner auf Recherchen basierenden künstlerischen Praxis bearbeitet Newitt
das vorgefundene Material sorgfältig und schreibt es um, sodass die Dokumente
zu einer Form von Fiktion werden. Diese spekulativen, halb fiktionalen Texte
fließen dann in seine Projekte ein, in denen sich die Geschichten
weiterentwickeln können.
James Newitt war 2022 Medienkunst-Stipendiat der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus. Newitt wurde in Tasmanien, Australien, geboren und lebt und arbeitet in Lissabon.
Die Ausstellung wird gefördert vom Niedersächsischen Ministerium für Wissenschaft und Kulter, Stiftung Niedersachsen, Stiftung Kunstfonds und der Initiative Neustart Kultur, Oldenburgische Landschaft.