Mechanical Manifestations
Mechanical Manifestations ist die erste Einzelausstellung der niederländischen Künstlerin Silvia Martes in Deutschland. Martes arbeitet vorwiegend mit dem Medium Film und spielt mit diesem auf zahlreichen Ebenen. Ihre Experimente mit nichtlinearen Erzählweisen bedienen sich verschiedener Genres, die von Thriller, Sciencefiction und Dokumentation bis zu Melodram und Comedy reichen. Oft untersucht sie Verschiebungen von Machtverhältnissen in filmischen Darstellungen, kommentiert autobiografisches Storytelling und erforscht das Verwischen von Grenzen durch Pseudofiktion.
Martes lässt ihre umfassenden wissenschaftlichen Interessen an Gebieten wie Neurologie, Psychologie und Physik in ihre abenteuerlichen, spielerischen und oft humorvollen – jedoch nie vollständig geskripteten – Drehbücher einfließen. Ihre Geschichten entwickeln sich allmählich durch Recherchen, engagierte Gespräche mit ihren Darstellerinnen und Darstellern und die Beschäftigung mit den Schauplätzen. Diese bewusst schwer vorhersehbare Arbeitsweise bleibt in den fertiggestellten Filmen sichtbar. Da die filmischen Erzählungen auch auf autobiografischen Details beruhen, behält Martes möglichst viele Aspekte der Produktion in eigener Hand und führt fast alle Produktionsschritte selbst aus: Sie baut die Sets und ist Kamerafrau, Darstellerin, Regisseurin und Cutterin in einer Person. Durch das Inszenieren von Konflikten und eine sehr assoziative, traumartige Erzählweise werden widersprüchliche, zutiefst beunruhigende ideologische und politische Dilemmas dargelegt.
Mit Fotografien, Voice-over und schnellen Schnitten, die sie in das Filmmaterial einfügt, trägt sie der Tatsache Rechnung, dass jede Geschichte Bezüge zu anderen Geschichten enthält – von denen die meisten unausgesprochen bleiben und nicht erzählt werden. Martesʼ neue Multimedia-Installation Heru Ku Heru pt. 1 von 2023, die im Auftrag des Edith-Russ-Hauses entstand, beruht auf einer dieser noch nie erzählten Geschichten. Sie ist inspiriert von den Reiserouten, die die Familie der Künstlerin unternommen hat. Die Arbeit beschäftigt sich mit der komplexen Geschichte der Nachkommen von Menschen, die von der karibischen Insel Curaçao in die Niederlande ausgewandert sind, und verbindet zwei verschiedene Formate. Sie besteht aus einer fiktionalen Story, die Protagonistinnen und Protagonisten beim Besuch eines curaçaischen Imbiss zeigt, und nichtfiktionalen Interviews mit niederländischen Bürgerinnen und Bürgern, die karibische Wurzeln haben. Heru Ku Heru pt. 1 taucht ein in ihre mythologischen Erinnerungen und untersucht das heikle, komplexe Erbe des Kolonialismus aus einer heutigen Perspektive.
Im Mittelpunkt der Einzelausstellung von Martes’ Arbeiten im Edith-Russ-Haus für Medienkunst steht ein faszinierendes Element ihres Œuvres: ihre kunstvollen, selbst gebauten Filmsets und Raumgestaltungen, die eine fesselnde Atmosphäre erzeugen. Die Ausstellung will diese szenografischen Installationen auf eine neue Reise schicken und lässt ihnen freien Lauf, den Ausstellungsraum einzunehmen und die Grenzen des filmischen Mediums zu durchbrechen.
Die Ausstellung von Silvia Martes wird als Teil ihres Medienkunst-Stipendiums der Stiftung Niedersachsen am Edith-Russ-Haus gezeigt. Sie bietet einen umfassenden Einblick in die spannende Praxis der Künstlerin, die auch angesichts komplexer und bedrückender Themen einen hoffnungsvollen und manchmal sogar humorvollen Ton bewahrt.
Kuratiert von Edit Molnár & Marcel Schwierin.
Das Infoheft zur Ausstellung mit Kurzbeschreibungen aller ausgestellten Werke kann als PDF kostenlos heruntergeladen werden. Die Nutzung ist ausschließlich für private Zwecke, andere Nutzungen müssen mit dem Edith-Russ-Haus abgestimmt werden. Download hier.